Internationale Solidaritäts-Woche für inhaftierte Anarchist_innen 2016

Aufruf und Beitrag des Anarchistischen Schwarzen Kreuzes (ABC) Jena

Als neues Anarchistisches Schwarzes Kreuz (ASK) bzw. Anarchist Black Cross (ABC) Jena wollen wir die Internationale Solidaritätswoche für inhaftierte Anarchist_innen vom 23. bis 30 August 2016 nutzen, um zur Solidarität mit einigen anarchistischen Gefangenen des sozialen Kriegs und zu kommenden Aktionen aufzurufen und auf die Hintergründe der Soli-Woche und des Anarchistischen Schwarzen Kreuzes einzugehen.

Unterstützt die inhaftierten Anarchist_innen!

In unserer Region – Deutschland, Polen und Tschechien – aber auch anderswo befinden sich derzeit einige Anarchist_innen bzw. Antiautoritäre aus verschiedenen sozialen Kämpfen als Geiseln des Staats im Knast. Der Staat hat immer wieder und wird auch weiterhin zur Inhaftierung und Isolation Einzelner greifen, um gegen die autonom-anarchistische Bewegung und die verschiedenen sozialen und Klassenkämpfe insgesamt vorzugehen. Ihre Unterstützung sollte deswegen nicht bloß Anwält_innen, eingespielten Antirepressionsgruppen (Rote Hilfe e.V., ABC), meist überarbeiteten Soli-Gruppen und dem oft überforderten sozialen Umfeld überlassen werden, sondern von uns als Bewegung kollektiv gestemmt werden. Das geht z.B. über Geldspenden, Soli-Aktionen oder Grüße in Postkarten- oder Briefform. Dazu wurde auch im Fall der weiter unten erwähnten Genoss_innen aufgerufen. Die Liste müsste eigentlich viel länger sein. Wir haben uns dieses Mal entschieden, auf aktuelle Fälle in unserer Region hinzuweisen.

Ende April 2015 wurden in Tschechien im Rahmen der staatlichen Fenix-Repressionsoperation mehrere Anarchist_innen festgenommen. Von ihnen befindet sich nur noch Martin Ignačák weiterhin in Haft. Im Juni 2016 hat er einen Hungerstreik gegen die Schikanen durchgeführt, am 10. August verbrachte er bereits seinen zweiten Geburtstag hinter Gittern. Mehr Infos unter antifenix.noblogs.org.

Martin Ignačák 10.8.1986
V.V. Praha – Pankrác
P.O.BOX – 5
Praha 4
14057

Am 13. April 2016 wurde eine Anarchistin aus Barcelona im Rahmen einer Bullenrazzia auf Grundlage eines europäischen Haftbefehls, ausgestellt vom deutschen Staat, festgenommen, später an die BRD ausgeliefert und in den Knast von Köln verlegt. Am 21. Juni 2016 wurde ein weiterer portugiesischer Genosse in Barcelona verhaftet, ebenfalls ausgeliefert und in die JVA Aachen gesteckt. Beiden wird vorgeworfen, an Bankenenteignungen in Aachen in den Jahren 2012 und 2014 beteiligt gewesen zu sein. Schon im Juli 2015 war eine niederländische Anarchistin wegen der selben Reihe an Bankenenteignungen verhaftet und im Dezember 2015 bis zum Prozess freigelassen worden. Wir schicken den verfolgten und inhaftierten Genoss_innen Kraft und unsere Solidarität. Mehr Infos auf dem katalonisch-sprachigen Blog solidaritatrebel.noblogs.org.

Am 23. Mai 2016 wurden drei Anarchist_innen in Warschau festgenommen. Sie werden verdächtigt, einen Brandanschlag auf ein Bullenauto vorbereitet zu haben. Einer wurde dabei von den Bullen verprügelt. Sie befinden sich immer noch in U-Haft. Auf sie kommt eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis 8 Jahre zu. Briefe können an die Soligrupe geschickt werden. Sie leitet sie dann weiter. Kontakt unter wawa3 [at] riseup [dot] net. Mehr Infos unter wawa3.noblogs.org.

Tur*tel wurde im Rahmen der Repression gegen den Braunkohle-Widerstand der LAutonomia-Waldbesetzung in der Lausitz am 14. Mai 2016 festgenommen und befindet sich seitdem in U-Haft. Mehr Infos unter abcrhineland.blackblogs.org.

Moritz Neuner
JVA Ebrach
Marktplatz 1
96157 Ebrach

Aaron und Balu sitzen seit dem 9. Juli 2016, seit der Soli-Demo für die Rigaer 94 unter dem Slogan „Investitorenträume platzen lassen“, in Untersuchungshaft. Im Infoladen Jena liegen Soli-Postkarten rum, die an die beiden Genossen geschickt werden können. Mehr Infos unter aaronbalu.blackblogs.org.

Aaron:
Buchnr.:1777/16/7 (als Ersatz für Namen)
Balu:
Buchnr.:1776/16/8 (als Ersatz für Namen)
JVA Moabit
10559 Berlin
Alt Moabit 12a

Unterstützt den breiten Gefangenenwiderstand!

Als Anarchistisches Schwarzes Kreuz wollen wir uns nicht nur um „unsere eigenen Leute“ kümmern, sondern betrachten den Knast zusätzlich als eigenes Feld von Widerstand und Kämpfen, innerhalb dessen wir mit anderen, auch nicht-anarchistischen inhaftierten Arbeiter_innen zusammmenkommen wollen. Insofern solidarisieren wir uns mit allen rebellischen und widerständigen Häftlingen. In Deutschland haben sich viele von ihnen in den letzten zwei Jahren in der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation organisiert und über Hungerstreiks und andere Protestformen für konkrete Verbesserungen innerhalb des gefängnis-industriellen Komplexes gekämpft. Die GG/BO insgesamt und speziell bei uns in Thüringen (die Sektionen in den JVAs Untermaßfeld und Tonna, die Soligruppe in Jena) verdient damit unsere Unterstützung. 

Nichtsdestotrotz müssen wir kritisch auf die Nähe einiger Soligruppen und GG/BO-Aktivist_innen zum linken Flügel des politischen Establishments, nämlich zur in Brandenburg und Thüringen regierenden Linkspartei sowie zu den bürokratischen Gewerkschaften, und auf die Unterstützung des Gefängnisreformers und Knastleiters Thomas Galli hinweisen. Diese haben in den letzten Monaten ein informelles Bündnis zur Modernisierung von Strafsystem und Gefängniswesen gebildet. Dabei geht es nicht um die Bekämpfung und Abschaffung von Herrschaft, sondern um ihre Transformation und Optimierung. Galli und gewisse Leute aus der Linkspartei setzten sich unter anderem für die  elektronische Fußfessel ein, also für die weitere Diffusion der Disziplinar- und Kontrollmechanismen aus dem Knast in die Gesellschaft.

Unsere Solidarität gilt weiterhin den US-amerikanischen Gefangenen, die für den 9. September 2016, 45 Jahre nach dem Beginn der großen Häftlingsrevolte von Attica, zu einem USA-weiten Streik- und Aktionstag gegen die Gefängnis-Sklaverei aufgerufen haben. Dieser wird wohl der größte Gefangenen-Streik in der Geschichte des US-amerikanischen gefängnis-industriellen Komplexes werden. Er wird unter anderem durch unsere Genoss_innen der amerikanischen ABCs und des Organisationskommitees der inhaftierten Arbeiter_innen der revolutionären Gewerkschaft Industrial Workers of the World (IWW) unterstützt. In Deutschland hat die GG/BO für den 9. September zu einer Solidaritätskundgebung vor dem US-amerikanischen Generalkonsulat in Leipzig aufgerufen. Wir unterstützen hiermit den Aufruf.

Was ist das Anarchistische Schwarze Kreuz?

Das Anarchistische Schwarze Kreuz ist Anfang des 20. Jh.s im vorrevolutionären Russland noch noch unter dem Namen Anarchistisches Rotes Kreuz als Antirepressions- und Gefangenensolidaritätsorganisation der anarchistischen Bewegung entstanden. Das war nötig, weil damalige Hilfsorganisationen, wie das von Sozialdemokrat_innen kontrollierte Politische Rote Kreuz Anarchist_innen die Unterstützung verweigerten. Während der russischen Revolution und innerhalb der südukrainischen bäuerlich-anarchistischen Aufstandsbewegung Nestor Machnos wurde das Anarchistische Rote Kreuz in Anarchistisches Schwarzes Kreuz umbenannt und übernahm die medizinische Versorgung und den bewaffneten Selbstschutz. Mit der kassierten russischen Revolution und im Verlauf des Ausbaus der staatskapitalistischen Sowjet-Diktatur durch die Bolschewist_innen wurden die Anarchistischen Schwarzen Kreuze wie auch die anarchistische Bewegung generell zerschlagen. 

Bezugnehmend auf das historische Anarchistische Schwarze Kreuz gründeten englische Anarchist_innen, unter anderem Stuart Christie und Albert Metzler, Ende der 1960er Jahre das Anarchist Black Cross mit dem Ziel, durch das Franco-Regime inhaftierte oder exilierte spanische Anarchist_innen zu unterstützen. Seitdem hat es sich vor allem in Nordamerika und Westeuropa, nach 1990 auch in Osteuropa verbreitet.

In Deutschland gab es lange Jahre die Berliner ABC-Gruppe. Seit 2015 ist sie inaktiv. Dafür wurden 2015 und 2016 Anarchistische Schwarze Kreuze im Rheinland, Dresden und Jena aufgebaut. Sie bieten eine anarchistische Alternative zur bürokratischen und einheitslinken Roten Hilfe e.V. Der Hauptarbeitsschwerpunkt dieser drei ABC-Gruppen besteht momentan in einer Art informeller Arbeitsteilung mit der Roten Hilfe e.V. in der Gefangenensolidarität. Die Gründung und Vernetzung weiterer ABC-Gruppen sehen wir als wichtigen Bestandteil des Bruchs mit der autoritären und Staatslinken und des Aufbauprozesses eigener anarchistischer Bewegungsstrukturen in Deutschland. 

Worum geht’s bei der Soli-Woche?

2013 beschlossen ABC-Gruppen aus verschiedenen Ländern gemeinsam, die internationale Solidaritäts-Woche für inhaftierte Anarchist_innen einzuführen, um so auf die Repression gegen unsere Bewegung hinzuweisen, die Solidarität mit den Verfolgten und Gefangenen zu stärken und das Wissen um Kämpfe und Repression in anderen Ländern zu verbreitern. 

Als Beginn der Soli-Woche wählten sie den 23. August. Am 23. 1927 nämlich waren Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti, beides aufständische Anarchisten und italienische migrantische Arbeiter in den USA, vom Staat nach einem mehrjährigen Schauprozess und entgegen dem Widerstand einer weltweiten Solidaritätsbewegung hingerichtet worden.

Seit 2013 organisieren ABC-Gruppen jährlich Veranstaltungen und Aktionen anlässlich der Soli-Woche. Als Anarchistisches Schwarzes Kreuz Jena gibt es uns erst seit kurzem. Dennoch wollen wir mit diesem Text zumindest einen kleinen Beitrag zur Woche, zur gefangenensolidarischen Bewegung und dem Kampf gegen Knast und Ausbeutung leisten.