Solidaritätswochen für die aufständischen Migrant_innen von Charmanli

Anfang Juni 2018 geht in Bulgarien der Prozess gegen 21 afghanische Flüchtlinge weiter, die im November 2016 nach einem blutig niedergeschlagenen Aufstand im Lager von Charmanli herausgegriffen und zum Sündenbock gemacht wurden. Der Prozess ist nur ein weiteres Glied in der Kette rassistischer Gewalt gegen Flüchtlinge in Bulgarien sowie in der Kette politischer Massenprozesse gegen Migrant_innen im Balkan. Die Antifa Bulgarien ruft ab Ende Mai zu Solidaritätsaktionen auf – wir schließen uns dem Aufruf an!

Der Aufstand im Lager1

Charmanli ist eine Kleinstadt mit ca. 20.000 Einwohner_innen, etwas mehr als 30 km von Chaskovo entfernt, nahe dem Dreiländereck Bulgarien-Griechenland-Türkei. Dort wurde 2014 ein offenes Registrierungs- und Aufnahmezentrum für Flüchtlinge gebaut. Die Lebensbedingungen im Lager waren ziemlich miserabel: kein heißes Wasser, schlechte Nahrungsmittel- und medizinische Versorgung, keine Übersetzer_innen, keine finanziellen Leistungen vom Staat. Immerhin war das Lager offen und die Flüchtlinge konnten ein- und ausgehen.

Am 2. Oktober 2016 organisierten die prominenten Politiker_innen Angel Dschambaski, Krassimir Karakatschanoff und Magdalena Taschewa vom faschistischen Parteienbündnis „Vereinigte Patrioten“ (VP) eine Demo in Charmanli. Forderung war die Schließung des Lagers durch das Innenministerium, da die Flüchtlinge angeblich Krankheiten einschleppten und die Bevölkerung belästigten. Einen Monat später, am 22. November 2016, wurde das Lager auf unbestimmte Zeit „unter Karantäne gestellt“, d.h. von der Polizei abgeriegelt. Für die Flüchtlinge wird das Lager damit zum Gefängnis.

Zwei Tage später bricht ein Aufstand im Lager aus. Die Flüchtlinge errichten Barrikaden, von denen einige angezündet werden, und wehren sich mit Steinen gegen die Polizei. Nach einer Weile überzeugen einige der Flüchtlinge den Rest, die Konfrontation zu beenden und die Lage beruhigt sich. Trotzdem stürmt die Polizei später das Lager. In mehreren Gebäuden werden teils schlafende und unbeteiligte Flüchtlinge blutig geprügelt. Allein im afghanischen Teil soll es 125 Verletzte gegeben haben. Eine 15jähriger afghanischer Junge hat mit einem Schädelbruch im Koma gelegen.

Von der polizeilichen zur juristischen Aufstandsbekämpfung2

Im Anschluss haben die Behörden den Aufstand zum Anlass genommen, das Lager in Charmanli einzuzäunen und auch das Lager in Pistrorog, ebenfalls im Rajon Chaskowo, abzuriegeln. Außerdem wurden 21 afghanische Flüchtlinge aus dem Lager von Charmanli herausgegriffen und sollen nun für den Aufstand abgeurteilt werden. Zehn von ihnen werden im Flüchtlingslager in Ljubimets festgehalten, der Rest ist nicht auffindbar. Ermittlungen über die Polizeigewalt wurden bis heute nicht eingeleitet.

Am 24. April 2018 fand die erste Verhandlung gegen die Charmanli 21 statt. Die Vorwürfe sind Vandalismus und Sachbeschädigung im Wert von 85.000 Lewa (42.000 Euro). Von den 21 Angeklagten erschienen nur 10 vor dem Rajonsgericht in Charmanli, weswegen die Verhandlung nach nur einer halben Stunde vertagt wurde.

Der autoritäre Umbau von Gesellschaft und Staat in Bulgarien

Die Ereignisse in Charmanli und der angelaufene Prozess sind nur ein weiterer Schritt in der sich zuspitzenden Autoritarisierung der bulgarischen Gesellschaft und des Staats. In den letzten Jahren fanden immer wieder rassistische Straßenmobilisierungen statt. So zog im Sommer 2017 ein Mob von 5000 Rassist_innen zum Roma-Ghetto von Asenoffgrad, ein Pogrom wurde nur durch das Einschreiten der Polizei verhindert – und das war nur die größte einer ganzen Reihe von Demos in Asenoffgrad. Daran beteiligt waren auch einige der selbsternannten „Migrantenjäger“, paramilitärische Gruppen, die schon ein Jahr zuvor in die Schlagzeilen gekommen waren, als sie eigenständig und zunächst staatlich toleriert die bulgarisch-türkische Grenze patroullierten und Flüchtlinge festnahmen und misshandelten.

Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den Staatsapparaten wieder. Seit Mai 2017 hat Bulgarien eine Koalitionsregierung bestehend aus der konservativen GERB und dem faschistischen Wahlbündnis der „Vereinigten Patrioten“. Den militarisierten Grenzzaun zur Türkei, der ab 2013 errichtet wurde, bezeichnete deren stellvertretender Ministerpräsident Waleri Simeonoff (VP) Mitte 2017 als „Große Bulgarische Mauer“. Gleichzeitig erklärte Krassimir Karakatschanoff (VP), inzwischen Sicherheits- und Verteidigungsminister, der Zaun werde mit fünf Kompanien sowie „hochspezialisierten Kampftruppen“ der Armee, also insgesamt 600 Soldaten, besetzt.

Massenprozesse gegen Flüchtlinge im Balkan

Ein zweiter Bezugsrahmen ist die repressive staatliche Verwaltung der Migrationsbewegung im Balkan seit 2015. Mit den Grenzschließungen und der Kasernierung der Migrant_innen entlang der Balkanroute kam es zu zahlreichen Protesten und Aufständen der Migrant_innen. Sie wurden in vielen Fällen polizeilich niedergeschlagen, oft gefolgt von Schauprozessen gegen die angeblichen Rädelsführer. Nach den Protesten der Flüchtlinge gegen die Grenzschließung am ungarisch-serbischen Grenzübergang Röszke-Horgos im September 2015 wurden 11 Flüchtlinge eingeknastet und abgeurteilt. Von den Röszke 11 sitzt Ahmed, als Terrorist verurteilt, immer noch in Haft.3

Ende Mai 2017 forderten mehrere Flüchtlinge im Athener Abschiebeknast Petrou Ralli Gespräche mit der Anstaltsleitung über die Haftdauer. In Reaktion darauf stürmte die Polizei die Zellen und misshandelte acht Flüchtlinge schwer. Um die Gewalt zu vertuschen, wurde den verletzten Flüchtlinge ein Angriff auf die Polizei vorgeworfen. Ende April 2018 begann der Prozess gegen die Flüchtlinge, am 23. Mai findet der zweite Prozesstag statt.

Im Juli 2017 protestierten Flüchtlinge im Lager von Moria auf der griechischen Insel Lesbos gegen die Haftbedingungen und für ihre Bewegungsfreiheit. Dabei kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. 35 Flüchtlinge wurden festgenommen und bis zum Urteil für neun Monate inhaftiert. Ende April 2018 wurden 32 von ihnen schuldig gesprochen, aber alle freigelassen.

Ab 28. Mai 2018 Solidaritätswochen für die Charmanli 21!

In diesem Klima versucht nun die „Antifa Bulgarien“ Solidarität für die 21 angeklagten Flüchtlinge zu organisieren. Sie hat einen Aufruf zu zwei internationalen Solidaritätswochen vom 28. Mai bis zum nächsten Prozesstermin, dem 5. Juni, verbreitet. Damit soll Druck auf Bulgarien ausgeübt werden, dass es die 21 Flüchtlinge freilässt und Ermittlungen bezüglich der massiven Polizeigewalt nach dem Aufstand in Charmanli einleitet.

Als Schwarzkreuz Jena schließen wir uns dem Aufruf an. Wir rufen dazu auf, der bulgarischen Botschaft in Berlin möglichst viele Protestschreiben zukommen zu lassen. Die Kontaktdaten lauten:

Botschaft der Republik Bulgarien in der Bundesrepublik Deutschland
Mauerstrasse 11
10117 Berlin
Mail: info@botschaft-bulgarien.de und embassy.Berlin@mfa.bg
Tel.: 0049 30 201 0922

Ihr könnt folgende Vorlage in eure Mail reinkopieren:

„Sehr geehrte Damen und Herren,

sehr geehrter Botschafter Radi Naidenov,

seit April 2018 stehen 21 afghanische Flüchtlinge im bulgarischen Charmanli vor Gericht, wovon allerdings 11 nicht auffindbar sind. Sie Alle wurden im November 2016 nach der gewalttätigen Erstürmung des Flüchtlingslagers von Charmanli durch die Polizei festgenommen. Der gewalttätige Polizeiangriff war das Ergebnis von Unruhen im Lager, die wiederum von einer rassistischen Hetzkampagne und der Abriegelung des Lagers hervorgebracht wurden. Nun sollen sie als Sündenböcke für die Unruhen herhalten, die der bulgarische Staat durch die völlige Entrechung der Flüchtlinge doch erst selbst erzeugt hat. Die massenhafte Misshandlung der Flüchtlinge durch die Polizei jedoch wird nicht verfolgt.

Ich fordere Sie als Vertreter des bulgarischen Staates in Deutschland hiermit auf, erstens auf die unmittelbare Freilassung der Flüchtlinge und zweitens auf eine gründliche Ermittlung des brutalen Polizeiangriffs in Charmanli einzuwirken.

Ich erwarte in dem Rahmen auch eine Antwort Ihrerseits.

Mit freundlichen Grüßen“

Weitere Informationen auf Bulgarisch und Englisch findet ihr auf folgenden Blogs:

https://harmanli21.wordpress.com/

http://bulgaria.bordermonitoring.eu/

Fußnoten